Frauenklinik

Im Interview mit unserer Leitenden Hebamme Dayo Oliver

06-05-21
Im Interview mit unserer Leitenden Hebamme Dayo Oliver

Unsere Leitende Hebamme erzählt mehr über ihren Werdegang, emotionale Momente in ihrem Beruf und wie eine Geburt während der Pandemie verläuft.

8 Minuten
Alexandra Gunz
Share
Sie sind seit 18 Jahren als Hebamme tätig. Was haben Sie vorher gemacht?

Ich habe die Matura an der International School absolviert und arbeitete im Anschluss als Assistentin eines Stromhändlers. Danach zog es mich aber schon bald ins Gesundheitswesen, weil ich für die Hebammenschule in St. Gallen ein 2-monatiges Praktikum vorweisen musste. Dafür war ich als Pflegeassistentin in einem Pflegeheim tätig – Ich habe mich sozusagen zuerst mit dem Lebensende und erst dann mit dem Lebensanfang auseinandergesetzt.

Hat die Zeit im Pflegeheim einen Einfluss auf Ihren jetzigen Beruf?

Definitiv. Viele schieben die Themen “Sterben” und “Tod” weit von sich weg. Ich war aber während meiner Anstellung im Pflegeheim gezwungen mich damit zu beschäftigen. Dadurch konnte ich Berührungsängste abbauen. Das hilft mir nicht nur heute als Hebamme, sondern auch im Privatleben.

Wie kam es zum Wechsel von der Assistentin eines Stromhändlers zur Hebammenschule?

Ich wusste schon als Kind, dass ich Hebamme werden wollte. Geburten haben mich immer fasziniert, auch Tiergeburten (lacht). Bevor ich mich aber dazu entschloss, meine Ausbildung an der Hebammenschule in St. Gallen anzutreten, hatte ich mir einmal kurz überlegt Medizin zu studieren. So schnell wie der Gedanke kam, verflog er aber auch wieder.

Bereuen Sie es, dass Sie sich gegen das Medizinstudium entschieden haben?

Nein.

Gab es einen Fachbereich, den Sie damals besonders interessierte?

Nicht unbedingt, aber ich denke, dass ich mich für die Gynäkologie entschieden hätte.

Sie feierten Anfang April Ihr 15. Jubiläum bei uns im See-Spital und haben in dieser Zeit schon einiges erlebt. Was ist für Sie das Schönste an Ihrem Beruf?

Der unglaublich magische Moment, wenn das Kind (oder sogar die Kinder) das Licht der Welt erblickt. Die Atmosphäre im Geburtssaal ist einfach unbeschreiblich, wenn die frischgebackenen Eltern ihr Kind zum ersten Mal in den Armen halten. Das Glück und die bedingungslose Liebe verteilt sich im ganzen Raum. Dass ich in diesen Momenten dabei sein darf, berührt mich jedes Mal aufs Neue und schüttet auch bei mir Glückhormone aus. Wir nennen dieses Gefühl auch das “Hebammen High”.

Die Verbindung zwischen den beiden während dieser Geburt war magisch

Dayo Oliver, Leitende Hebamme am See-Spital

Wissen Sie, wie viele Geburten Sie schon begleitet haben?

Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen, aber ich schätze zwischen 400 und 500.

Begleiten Sie an jedem Arbeitstag eine Geburt?

Nein, vor allem nicht mehr seit ich die Leitung des Hebammenteams übernommen habe. In dieser Position bin ich auch zuständig für die Personalplanung und andere administrative Themen. Wenn viel los ist, komme ich aber immer wieder zum Gebären und es macht mir immer noch sehr viel Spass den Beruf praktisch auszuüben.

Haben Sie eine Geburt miterlebt, die Ihnen besonders geblieben ist?

Ja, die war vor über 10 Jahren. Während des Fastenmonats Ramadan begleitete ich eine Geburt einer muslimischen Frau. Ihre Wehen setzten in der Nacht ein und als die Sonne langsam aufging, spielte ihr Mann beruhigende Musik ab – ein Männerchor der islamische Lieder sang – und wandte sich ihr zu. Bei jeder Wehe machte er ihr wunderschöne Komplimente, ermutigte sie, unterstütze sie und wiederholte mehrere Male, wie sehr er sie liebt. Die Beiden haben mir im Anschluss erklärt, dass ein Mann das weibliche Genital zur Tageszeit während Ramadan nicht sehen darf, weil es ihn von Allah ablenkt. Die Verbindung zwischen den beiden während dieser Geburt war magisch, auch in Kombination mit der Seesicht und dem Sonnenaufgang. Ich habe Hühnerhaut, wenn ich daran zurückdenke.

Als Hebamme sind Sie dabei, wenn neues Leben beginnt. Zum Beruf gehören aber auch traurige Momente. Was wühlt Sie persönlich emotional am meisten auf?

Das Traurigste sind sicher Totgeburten, welche bei uns zum Glück sehr selten vorkommen. Mich berühren generell schwierige Schicksale, einfach auch, weil mein Herz für die sozial Benachteiligten schlägt. Es beeindruckt mich immer wieder, wie stark die Frauen sind, auch wenn sie eine schwierige Geschichte mit sich bringen.

Können Sie nach Arbeitsschluss trotzdem abschalten?

In der Regel kann ich gut abschalten, vor allem seit ich selbst Kinder habe. Wenn ich Zuhause ankomme, brauchen die Drei meine volle Aufmerksamkeit. Es gibt aber durchaus Tage, an denen es mir schwerer fällt. Wenn ich dann abends ins Bett gehe und Zeit habe, zu überlegen, denke ich schon über gewisse Situationen nach.

Für mich war es besonders herausfordernd, als Hebamme einer werdenden Mutter beratend zur Seite zu stehen, und auf ihre Ängste einzugehen, wenn allgemein noch so vieles unbekannt war.

Dayo Oliver über die Herausforderungen während der ersten Welle

Die Pandemie hält die Welt leider immer noch in Atem, auch unser Spital. Inwiefern war die Geburtenabteilung davon betroffen?

Die erste Welle war ja für das ganze Spital eine Umstellung. Da war die Rede von diesem Virus, aber keiner wusste so genau, was das jetzt bedeutet, welche Auswirkungen es haben wird, etc. Für mich war es besonders herausfordernd, als Hebamme einer werdenden Mutter beratend zur Seite zu stehen, und auf ihre Ängste einzugehen, wenn allgemein noch so vieles unbekannt war. Auch die limitierte Anzahl Personen, die bei der Geburt dabei sein durften oder als die frischgebackenen Väter das Wochenbett nicht besuchen konnten, hat mir leidgetan. Seit der ersten Welle beobachten wir aber, dass die Mütter weniger Probleme beim Stillen haben, weil die Geburtenabteilung ohne die gängige Anzahl an Besuchenden ruhiger ist. Dadurch können die Mütter die ersten Tage mit ihrem Kind relativ stressfrei geniessen.

Wie muss man sich eine Geburt vorstellen, wenn die werdende Mutter COVID-positiv ist?

Für die Mutter selbst gibt es keinen grossen Unterschied. Sie muss eine Maske tragen, darf diese aber in der Endphase der Geburt abnehmen. Das Spitalpersonal im Geburtssaal hingegen muss in Vollmontur sein. Als Hebamme nimmt man während einer Geburt verschiedene Positionen ein. Viele von uns haben deshalb einen Schutzmantel von hinten und einen von vorne angezogen, damit wir in jeder Position rundum geschützt sind. Mit der Zeit wird das Arbeiten in Vollmontur sehr heiss und wie Sie ja wissen, kann eine Geburt mehrere Stunden dauern.

Was sind andere Herausforderungen, nebst Vollmontur?

Auf jeden Fall Notfallsituationen während oder nach der Geburt. Wir handeln automatisch, wenn beispielsweise ein Baby reanimiert werden muss oder ein Notfallkaiserschnitt nötig ist. Wir mussten aufgrund der neuen Sicherheitsvorschriften verschiedenste Szenarien auf COVID abgestimmt neu definieren, damit alle Beteiligten auch in Notfallsituationen geschützt sind.

Auch ohne Pandemie ist der Beruf als Hebamme anspruchsvoll. Können Sie zusammenfassen, wie ein typischer Arbeitstag als Hebamme im See-Spital aussieht?

Am See-Spital arbeiten wir Hebammen in einem Rotationssystem, das bedeutet, dass wir abwechselnd auf dem Wochenbett und im Gebärsaal sind. Das macht unseren Arbeitsalltag umso abwechslungsreicher. Wir sind übrigens eines der wenigen Spitäler im Kanton Zürich, bei dem ausschliesslich Hebammen und keine Pflegefachpersonen auf der Wochenbettstation arbeiten. Es sind rund um die Uhr Hebammen auf der Station, die garantieren, dass die Frauen optimal versorgt werden.

Würden Sie nochmals Hebamme werden, wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten?

Ja.

Verbindung zu den Leistungen vom See-Spital

Unter diesem Link finden Sie alle wichtigen Informationen zu unserer Frauenklinik.

Andere Blogartikel