Geburtshilfe Ehrenamtlich in Kambodscha Start >Ehrenamtlich in Kambodscha 24-01-23Ehrenamtlich in KambodschaJoy Wernli, Leitende Hebamme am See-Spital, ist nach Kambodscha gereist und hat ehrenamtlich in der Maternité "Jayavarman VIl" gearbeitet.7 MinutenFrank Engelhaupt Joy Wernli leitet die Geburtenabteilung am See-Spital Horgen. Im Sommer 2022 ist sie nach Kambodscha gereist und hat dort ehrenamtlich in der Maternité Jayavarman VII, einer vom Schweizer Kinderarzt Dr. Beat Richner gegründeten Geburtsklinik gearbeitet. Einige der Fotos, die während ihrer Zeit in Kambodscha entstanden sind, hat Joy uns für diesen Blog-Beitrag zu Verfügung gestellt und im Interview kommentiert. Was hat dich dazu veranlasst, dich ehrenamtlich in Kambodscha zu engagieren? Die Leitende Ärztin der Frauenklinik am USZ hat mich 2017 gefragt, ob ich sie begleite. Sie hat eine erfahrene Hebamme gesucht, die sich um die geburtshilflichen Prozesse kümmern sollte. So kam das ins Rollen. 2019 bin ich zum ersten Mal mit. Dann kam die Pandemie, weswegen wir erst 2022 wieder gehen konnten. Ein Teil dieser Welt sein zu dürfen, empfinde ich als grosses Privileg. Joy Wernli, Leitende Hebamme am See-Spital Horgen. Wie hast du dich dort eingefunden, als du zum ersten Mal vor Ort warst? Ich habe mich sehr schnell zuhause gefühlt. Mit ihrer herzlichen Art, mich zu empfangen und zu integrieren, haben es mir die Menschen sehr leicht gemacht. Doch die grosse Armut und die Tatsache, tagtäglich schwerkranke Kinder zu sehen, hat mir manchen Schlaf geraubt. Wie muss ich mir deine Arbeit in der Geburtenklinik vorstellen? Beim ersten Einsatz habe ich vor allem beobachtet. Ich habe selten Änderungsvorschläge gemacht, mit Kritik war ich zurückhaltend. Ich wollte wissen, wie’s läuft – und es läuft brillant. In der Klinik kommen jährlich sage und schreibe 28’000 Babies auf die Welt. Das ist eine Menge, die für uns kaum vorstellbar ist – eine richtige Baby Factory. Was zeichnet die Klinik besonders aus? Weil Mütter ihre Kinder kostenlos operieren und medizinisch behandeln lassen können, kommen sie zum Teil von sehr weit her, fahren mit ihren Mofas stundenlang zur Klinik. Es gibt auch Privatkliniken, dort kostet eine Geburt allerdings 100 Dollar, ein Kaiserschnitt 400 Dollar. Das können sich nur besser gestellte Kambodschanerinnen leisten. Du warst im September 2022 zwei Wochen dort. Was hast du konkret gemacht? Neben meiner Arbeit als Geburtshelferin sollte ich auch gewisse Verbesserungen anstossen und Hebammen schulen. Bei meinem ersten Besuch haben wir zum Beispiel vorgeschlagen, einen OP direkt im Gebärsaal einzurichten. Bisher wurden die Mütter im gleichen OP wie die Kinder operiert. Dieser OP war relativ weit von der Geburtenstation entfernt und wir wollten den Müttern und dem Personal den Weg ersparen. Ein anderes Thema war der Dammschnitt, der noch bis 2018 routinemässig durchgeführt wurde. In unseren Augen ist der standardisierte Dammschnitt nicht verhältnismässig. Ich habe den Hebammen gezeigt, wie es möglich ist, ohne Verletzung zu gebären. Du hast auch Fotos gemacht. Kannst du uns etwas zu den abgebildeten Szenen erzählen? Das ist ein Vorraum zum Gebärsaal. Einige Frauen befinden sich bereits in den Eröffnungswehen, andere haben teilweise eine längere Anreise hinter sich und sind mit der Geburt erst am Anfang. Sie befinden sich in der sogenannten Latenzphase, das bedeutet, dass die Eröffnungswehen noch nicht eigesetzt haben. Wenn die Eröffnung weit genug fortgeschritten ist, geht es in den Gebärsaal. Vor der Geburt Hier sehen wir ein Gebärzimmer. Die Zimmer sind alle miteinander verbunden, sodass Hebammen und Ärzt*innen schnell zwischen den Zimmern wechseln können, falls Komplikationen auftreten. Die Frauen sitzen vis-à-vis zueinander. So können zwei Frauen in einem Zimmer gebären, getrennt durch einen Vorhang, der aber nur selten gezogen wird. Gebärzimmer Werden Babys auch gleich nach der Geburt gestillt? Das ist mein Herzensanliegen. Bei unserem Einsatz 2022 haben wir vor allem betont, dass es wichtig wäre, die Babys unmittelbar nach der Geburt nackt der Mutter zu geben, ums sie stillen zu lassen. Damit die Babys mit dem Kolostrum einen Vitaminschub bekommen. Ein weiterer Vorteil des Stillens ist, dass sich dadurch die Gebärmutter zusammenzieht, wodurch die Mütter einen geringeren Blutverlust erleiden. Mehr Verständnis für den Nutzen des unmittelbaren Stillens nach der Geburt – dorthin soll die Reise gehen. Mit ihrer herzlichen Art haben es mir die Hebammen sehr leicht gemacht. In diesem Raum befinden sich ausschliesslich Schwangere. Die Betten reichen nicht für alle, deshalb machen es sich manche Frauen auf ihren Reismatten bequem. Die Frauen müssen auch ihr Essen und Trinken selber mitbringen. Man sieht das in den farbigen Tüten und Plastikboxen. Pränatalstation Wie viele Hebammen arbeiten dort? Pro Dienst bringen 20 Hebammen und neun Gynäkolog*innen täglich 80 bis 100 Babys zur Welt. Zum Vergleich: Hier am See-Spital sind es 1 bis 2 pro Tag. Das ist das Intensivzimmer, von dem ich vorher gesprochen habe. Ich mag das Bild sehr, weil man sieht, wie pragmatisch die Dinge angegangen werden. Die Reinigungskraft dreht die Liege einfach um und spritzt sie mit einem Wasserschlauch ab. Trotzdem ist alles sehr hygienisch, Infektionen gibt es praktisch keine. Intensivstation Die bei uns verbreitete Praxis, dass der Mann mit in den Kreissaal kommt, ist dort ein No-Go. Kein Mann, keine Grossmutter, keine Schwiegermutter, niemand ausser den Gebärenden hat Zutritt. Die Schuhe müssen vor dem Betreten der Klinik ausgezogen werden. Kein Zutritt für Angehörige (und Schuhe) Ein weiterer Unterschied zu uns ist, dass die Babys nach der Geburt kopfabwärts an den Füssen gehalten werden. Das Baby kann Fruchtwasser und Schleim ausspucken und bekommt so die Lunge frei. Wir sind uns das gar nicht gewöhnt. Obwohl es vor gar nicht so langer Zeit auch bei uns noch gebräuchlich war – inklusive den berühmten Klaps auf den Hintern. Ich habe extrem viel von den Hebammen in Kambodscha gelernt. Sie sind manuell unglaublich geschickt. Das ist auch kein Wunder, bei der Menge an Babys, die sie zur Welt bringen! Hierzulande bist du erstmal 10 bis 15 Jahre Hebamme, bis du einmal eine spontane Zwillingsgeburt siehst. Dort siehst du morgens eine und kannst eventuell gleich am Nachmittag noch eine machen. Ich kann ihnen in keiner Weise das Wasser reichen. Wie beurteilst du die Zukunft dieser Spitäler? Dr. Beat Richner ist für die Leute vor Ort wie ein König. Seine Grabstätte befindet sich direkt vor der Klinik. Aber auch ohne ihn befinden sich die Spitäler in guten Händen. Man ist sehr bemüht, die Spitäler weiter am Leben zu halten. Spenden sind natürlich nach wie vor die wichtigste Finanzierungsquelle. Meine Familie beispielsweise macht keine Weihnachtsgeschenke mehr. Wir stecken das Geld in die Kliniken. Dort wird es dringender gebraucht. Ein Teil dieser Welt sein zu dürfen, empfinde ich als grosses Privileg. Die Dankbarkeit der Leute macht demütig. Sie haben eine komplett andere Einstellung zum Leben. Zum Vergleich: Eine Hebamme dort hat zwei Wochen Ferien im Jahr, arbeitet 24 Stunden am Stück mit drei Stunden Zeit, um sich hinzulegen und verdient dabei so gut wie nichts. Aber niemand beklagt sich. Gehst du wieder hin? Mein nächster Einsatz ist im November 2023 geplant. Verbindung zu den Leistungen vom See-Spital Über diesen Link finden Sie mehr zu unserer Geburtenabteilungen. Mehr erfahrenAndere Blogartikel zurück zur ÜbersichtSocial Media besuchen besuchen besuchen Beitrags-Navigation Previous postWir stellen vor: Markus WürmliNext postInterview: Dr. Olivia Lenoir